May in Florenz: Großbritannien will Übergangsphase nach Brexit

22.09.2017 19:18

Die Brexit-Verhandlungen laufen stockend. Premierministerin May hat
der EU nun eine Übergangsphase vorgeschlagen. Ein Spiel auf Zeit?

London (dpa) - Die britische Premierministerin Theresa May will eine
etwa zweijährige Übergangsphase für ihr Land nach dem Brexit. Das
werde «wertvolle Sicherheit schaffen», sagte May in ihrer
Grundsatzrede zum EU-Austritt am Freitag in Florenz.

May deutete an, dass Großbritannien während dieser Zeit Beiträge in
den EU-Haushalt zahlen und so im Binnenmarkt bleiben könnte. Kein
Mitgliedsland der EU müsse wegen des Brexits mehr Geld einzahlen oder
bekomme weniger heraus. «Großbritannien wird Verpflichtungen
einhalten, die wir während unserer Mitgliedschaft gemacht haben.»

EU-Brexitunterhändler Michel Barnier zeigte sich grundsätzlich offen
für eine Übergangsphase. «Die Aussagen sind ein Schritt nach vorn,
aber sie müssen nun in konkrete Verhandlungspositionen übersetzt
werden.» Er sprach von einem konstruktiven Ansatz.

Großbritannien zahlt jährlich etwa zehn Milliarden Euro netto in den
EU-Haushalt ein. Bei einer zweijährigen Übergangsphase müsste London

demnach noch ungefähr 20 Milliarden Euro trotz Brexits einzahlen.

Damit wäre allerdings nur ein Teil der 60 bis 100 Milliarden Euro
abgegolten, die London nach EU-Schätzungen noch zahlen muss. Diese
Rechnung umfasst gemeinsam eingegangene EU-Finanzverpflichtungen für
Haushalt, Fördertöpfe und Pensionslasten. Die Schlussrechnung ist der
größte Knackpunkt bei den bislang sehr zäh verlaufenden
Brexit-Verhandlungen. Großbritannien wird die Staatengemeinschaft im
März 2019 verlassen.

EU-Ausländer sollen sich auch während der Brexit-Übergangsphase in
Großbritannien niederlassen dürfen, sagte May weiter. Es werde aber
Änderungen geben: «Wir werden EU-Bürger darum bitten, sich zu
registrieren.» Das werde ein Teil der neuen Einwanderungsregeln sein,
die nach der Übergangsphase in Kraft treten sollen.

Beim Thema Europäischer Gerichtshof blieb May unnachgiebig. Für die
Zukunft müsse ein neuer Mechanismus gefunden werden, um
Streitigkeiten zwischen der EU und Großbritannien zu lösen.

Nach Ansicht des britischen Labour-Chefs Jeremy Corbyn hat die Rede
keine Klarheit gebracht. Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber sagte,
dass er nun noch besorgter sei. Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard
Bütikofer meinte: «Nur in einem Punkt war Frau May sehr klar. Sie
braucht angesichts des Chaos, dass ihre Regierung bisher schon beim
Brexit angerichtet hat, mehr Zeit.» FDP-Europapolitiker Alexander
Graf Lambsdorff sagte hingegen, eine Übergangsregelung biete die
Chance, das Risiko eines ungeordneten Brexits zu minimieren.

May legte auch ihre Vision für eine neue «tiefe und besondere»
Beziehung zwischen der Europäischen Union und Großbritannien dar.
Über die künftigen Beziehungen will Brüssel aber erst sprechen, wenn

«ausreichender Fortschritt» bei wichtigen Trennungsfragen erreicht
ist. Dazu gehören neben dem Streit ums Geld auch die Rechte der rund
3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und die Frage, wie die neue
EU-Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem britischen
Nordirland aussehen könnte.

May hielt ihre Rede in einem eher schlichten Raum der gotischen
Klosteranlage Santa Maria Novella. Sie habe die italienische Stadt
ausgewählt, weil es das «historische Herz» Europas sei, hieß es in

Downing Street. Vertreter der EU-Kommission waren nach Informationen
der Deutschen Presse-Agentur nicht geladen. Vor der Klosteranlage
protestierten rund 100 Brexit-Gegner. Kurz vor der Brexit-Rede hisste
der Bürgermeister der Stadt EU-Flaggen am Rathaus.

Begleitet wurde die Premierministerin von Außenminister Boris
Johnson, Schatzkanzler Philip Hammond und Brexit-Minister David Davis
- offenbar, um Geschlossenheit zu demonstrieren. Johnson twitterte:
«Wir werden die Kontrolle über Geld, Grenzen und Gesetze
wiederbekommen!» Das britische Kabinett hatte sich in der
Vergangenheit immer wieder uneins über den Brexit-Kurs gezeigt.
Streit trugen die Minister zum Teil öffentlich aus.

An diesem Montag beginnt die vierte Runde der Austrittsgespräche. Die
Briten hatten sich in einem historischen Referendum im Juni 2016 mit
knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU ausgesprochen.