Mays Brexit-Rede in Florenz - großer Wurf oder grandioser Reinfall? Von Annette Reuther, Silvia Kusidlo und Christoph Meyer

22.09.2017 18:10

Mit ihrem Brexit-Auftritt in Florenz will May die Spielregeln der
Austrittsverhandlungen ändern. Sie schlägt deutlich sanftere Töne an,

als bei früheren Reden. In der Sache gibt sie aber kaum nach.

London/Florenz (dpa) - Theresa May wirkt beinahe sanft, als sie am
Freitag in Florenz vor die Kameras tritt. Für ihre Brexit-Rede hatte
sie sich eine Wohlfühl-Kulisse ausgesucht. Die ehemalige
italienischen Handelsmetropole und Wirkungsstätte von Künstlern wie
Michelangelo scheint ihr offenbar geeigneter als Brüssel, um die
fesgefahrenen Brexit-Verhandlungen in Schwung zu bringen. «Wir
bewegen uns durch eine neue und entscheidende Periode in der
Geschichte der Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU», sagt
sie.

Doch ob sie ihr Ziel erreicht hat, scheint zweifelhaft. Die
großspurig angekündigte Rede im Klosterkomplex Santa Maria Novella
dürfte für manchen Zuhörer in europäischen Hauptstädten eine herb
e
Enttäuschung gewesen sein. Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber
twittert nach der Rede, er sei «besorgter als zuvor».

May deutet zwar an, London werde während einer zweijährigen
Übergangsphase nach dem Brexit weiterhin in den EU-Haushalt
einzahlen, doch konkrete finanzielle Zusagen bleiben aus. Stattdessen
fordert sie, möglichst gleich mit den Verhandlungen über ein neues
Handelsabkommen zu beginnen. Ein Thema, über das Brüssel erst
sprechen will, wenn die Geldfrage geklärt ist.

May will die Spielregeln der Verhandlungen ändern. Sie verspricht
zwar, Großbritannien werde sich an seine finanziellen Verpflichtungen
halten. Die Geldforderungen seien aber teilweise «übertrieben» und
«nicht hilfreich». Überhaupt könne das Thema nur als Teil einer
Gesamtvereinbarung gelöst werden, sagt May. Ist das der große Wurf,
den sie sich von der Rede in Florenz erhofft?

Auch beim Thema Europäischer Gerichtshof bleibt May unnachgiebig. Für
die Zukunft müsse ein neuer Mechanismus gefunden werden, um
Streitigkeiten zwischen der EU und Großbritannien zu lösen, sagt sie.
Damit schließt sie auch die Rechte der etwa 3,2 Millionen EU-Bürger
in Großbritannien ein, für die Brüssel mehr als nur
Lippenbekenntnisse haben will.

Vertreter der EU-Kommission waren nicht im Publikum. Ob sie überhaupt
eingeladen waren, konnte der Regierungssitz Downing Street am
Freitagmorgen nicht beantworten - in Brüssel war offenbar nichts
angekommen. Stattdessen demonstrierte die britische Regierung
ungewohnte Einigkeit. Schatzkanzler Philip Hammond saß genauso im
Publikum in Florenz wie Außenminister Boris Johnson und
Brexit-Minister David Davis.

Noch vor knapp einer Woche hatte Johnson May düpiert, als er seine
eigene Brexit-Vision in einem ausführlichen Gastbeitrag in der
konservativen Tageszeitung «Daily Telegraph» dargelegt hatte. Darauf
folgte ein Schlagabtausch zwischen der Regierungschefin und dem
Außenminister. Die Florenz-Rede wurde Medienberichten zufolge
geändert, nachdem Johnson mit Rücktritt gedroht hatte. Ob
Zugeständnisse an die EU nachträglich gestrichen wurden, ist unklar.
Der Streit dürfte Mays Position nicht gestärkt haben. Sie gilt seit
der schiefgelaufenen Neuwahl im Juni als angezählt.

Britische Medien waren sich einig, dass May mit ihrer Rede die
Brexit-Unterhändler der EU-Kommission umgehen wollte. Deshalb Florenz
statt Brüssel. Sie habe direkt zu den Staats- und Regierungschefs der
EU sprechen wollen. Doch ob diese Strategie aufgegangen ist, darf
bezweifelt werden.