Dreckige Luft: Noch keine Klage aus Brüssel gegen Deutschland Von Andreas Hoenig und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

24.04.2018 15:51

Nicht mehr mit dem Auto in die Stadt? Das Schreckgespenst Fahrverbot
belastet Dieselbesitzer wie auch Autohändler. Die EU-Kommission hat
hier eine entscheidende Rolle. Aber noch hält sie sich bedeckt.

Brüssel/Berlin (dpa) - Im Dauerstreit über die zu dreckige Luft in
deutschen Städten zögert die EU-Kommission eine mögliche Klage noch
etwas hinaus. Anders als angekündigt kommt die Entscheidung nicht
mehr im April, sondern frühestens nächsten Monat, wie die Deutsche
Presse-Agentur am Dienstag aus der Brüsseler Behörde erfuhr. Für die

Bundesregierung bedeutet dies eine weitere kleine Schonfrist, für
Dieselbesitzer und Autohändler aber vor allem Unsicherheit. Dabei ist
der Markt für Diesel ohnehin drastisch eingebrochen, mit Folgen auch
für die Klimabilanz der europäischen Autobauer.

Die EU-Kommission droht Deutschland und acht anderen Ländern seit
Monaten mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof, weil sie die
seit 2010 verbindlichen EU-Grenzwerte für Stickoxide nicht einhalten.
Vor dem EuGH könnte die Brüsseler Behörde letztlich hohe Zwangsgelder

gegen die betroffenen Länder erstreiten. Eine Klage würde den Druck
erhöhen, rasch Abhilfe zu schaffen. Dies ginge nach Einschätzung von
Experten wohl nur mit Nachrüstungen oder Fahrverboten für Diesel, die
für einen Großteil der Stickoxide verantwortlich gemacht werden.

Ob und wann die EU-Kommission damit ernst macht, ist nach einem
undurchsichtigen Hin und Her der vergangenen Monate allerdings offen.
Umweltkommissar Karmenu Vella hatte Deutschland und acht weiteren
Ländern schon Ende Januar eine letzte Frist für zusätzliche Maßnahm
en
gesetzt, um die Luftqualität rasch zu verbessern.

Die Bundesregierung verwies damals auf ihr Sofortprogramm «Saubere
Luft» und reichte einige Vorschläge nach, darunter die Idee eines
kostenlosen Nahverkehrs. Die damalige Umweltministerin Barbara
Hendricks räumte aber gleichzeitig ein, dass die EU-Vorgaben in
mindestens 20 deutschen Städten auf Jahre hinaus nicht einzuhalten
sind.

Erst sprach Vella von einer Frist von wenigen Tagen, dann kündigte er
an, die nachgereichten Vorschläge bis Mitte März unter die Lupe zu
nehmen. Schließlich sagte er Ende März vor Umweltpolitikern des
Europaparlaments, die Prüfung sei abgeschlossen und könne er bereits
sagen, dass er tatsächlich Klage gegen einige Länder empfehlen werde,
und zwar «im Rahmen des nächsten Pakets von
Vertragsverletzungsverfahren Ende April».

Doch das gesamte Paket wurde verschoben. Zur Begründung hieß es, die
Tagesordnung der Kommission sei in dieser Woche schon so voll
gewesen. Die Entscheidung über die Agenda treffe im übrigen
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Vella sagte der dpa am
Rande einer Konferenz in Brüssel am Montag nur: «Wir werden die Sache
nicht fallen lassen.»

Umweltverbände reagierten enttäuscht, dass der Druck aus Brüssel
zunächst nachlässt. «Die EU-Kommission macht sich damit nicht
glaubwürdiger», sagte Verkehrsexperte Jens Hilgenberg vom Bund für
Umwelt und Naturschutz. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen
Maßnahmen seien «nichts Halbes und nichts Ganzes». Für die Gesundhe
it
der Städter sei eine Verbesserung der Luft jetzt und nicht erst 2025
oder 2030 nötig. Und dies sei nur mit «massiven Maßnahmen» möglic
h -
nämlich Diesel-Nachrüstungen oder Fahrverboten, sagte Hilgenberg.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte Fahrverbote im Februar erlaubt,
sofern sie verhältnismäßig sind. Die Aussicht, womöglich nicht mehr

in die Stadt fahren zu können, verunsichert Autokäufer inzwischen so,
dass Dieselwagen zum Ladenhüter werden: 87 Prozent der Autohändler
können Diesel-Gebrauchtwagen nur noch mit höheren Abschlägen
verkaufen, 22 Prozent nehmen überhaupt keine Diesel-Gebrauchtwagen
mehr in Zahlung - das geht aus aktuellen Zahlen des Dieselbarometers
der Deutschen Automobil Treuhand hervor, die der Deutschen
Presse-Agentur vorliegen.

Laut DAT-Barometer verkauften 58 Prozent der Händler nach eigenen
Angaben weniger Diesel-Neuwagen an Gewerbekunden. Bei den
Privatkunden sei die Entwicklung noch drastischer: 86 Prozent der
Händler verkaufen weniger gebrauchte und neue Diesel-Pkw an
Endverbraucher.

Der Trend weg vom Diesel dürfte die Luft in Städten mittelfristig
verbessern, hat aber eine Kehrseite für den Klimaschutz, weil
Benziner bei gleichem Gewicht in der Regel mehr verbrauchen und auch
mehr Kohlendioxid verursachen. Tatsächlich stiegen die CO2-Emissionen
bei Neuwagen in Europa 2017 erstmals seit Jahren im Schnitt wieder
leicht, wie aus Zahlen der Europäischen Umweltagentur EEA hervorgeht.

Die 2017 erstmals zugelassenen Autos stießen pro Kilometer 0,4 Gramm
Kohlendioxid mehr aus als die des Vorjahres. Derzeit liegt der
Durchschnittswert damit bei 118,5 Gramm pro Kilometer. Nach den
klimapolitischen Zielen der EU sollen die Autobauer den CO2-Ausstoß
ihrer Flotten bis 2021 auf 95 Gramm pro Kilometer reduzieren.