Zustimmung im Europaparlament: Was das EU-Lieferkettengesetz bedeutet Von Marek Majewsky, dpa

24.04.2024 13:57

Das geplante EU-Lieferkettengesetz ist auf dem Weg, geltendes Recht
zu werden, trotz Widerstands in der deutschen Bundesregierung. Das
Vorhaben hat im EU-Parlament die entscheidende Hürde genommen.

Brüssel (dpa) - Nach langem Ringen gibt es einen mehrheitsfähigen
Kompromiss für ein abgeschwächtes europäisches Lieferkettengesetz. Am

Mittwoch hat das EU-Parlament in Straßburg für das Vorhaben gestimmt.
Deutschland unterstützt das Vorhaben zwar nicht, muss es aber
trotzdem umsetzen.

Was ist das Ziel des EU-Lieferkettengesetzes?

Das EU-Lieferkettengesetz zielt darauf ab, Menschenrechte weltweit zu
stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden
können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder
Zwangsarbeit profitieren. Sie sollen zudem Berichte erstellen,
inwiefern ihr Geschäftsmodell mit dem Ziel vereinbar ist, die
Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu
begrenzen. 

Betroffene Unternehmen müssen nach Angaben des Parlaments etwa
vertragliche Zusicherungen ihrer Zulieferer einholen. «Auch müssen
sie wenn nötig kleine und mittlere Unternehmen, mit denen sie
Geschäfte machen, unterstützen, damit diese den neuen Verpflichtungen
nachkommen können», so die Mitteilung. 

Wie wurde das Gesetz im Verhandlungsprozess abgeschwächt? 

Ursprünglich sah ein Kompromiss von Unterhändlern der EU-Staaten und
des Europaparlaments vor, dass Unternehmen mit mehr als 500
Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro Umsatz von den
Vorgaben betroffen sind. Diese Grenze wurde jedoch auf 1000
Beschäftigte und 450 Millionen Euro angehoben, nach einer
Übergangsfrist von fünf Jahren. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben
zunächst für Firmen mit mehr als 5000 Beschäftigten und mehr als 1,5

Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinken diese
Grenzen dann auf 4000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz.

Inwiefern unterscheiden sich das europäische und das deutsche
Lieferkettengesetz?

Einer der größten Unterschiede ist die Haftbarkeit. So ist im
deutschen Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für
Sorgfaltspflichtverletzungen haftbar sind. Die EU-Variante lässt dies
zu. Darüber hinaus gilt das deutsche Lieferkettengesetz für
Unternehmen mit 1000 oder mehr Mitarbeitenden. In den kommenden
Jahren sind von der deutschen Version also mehr Unternehmen betroffen
als von der EU-Variante. 

Was passiert bei Verstößen gegen das Gesetz? 

Die EU-Staaten sollen eine Aufsichtsbehörde benennen, die den
Unternehmen auf die Finger guckt. Diese soll auch Strafen gegen
Unternehmen verhängen können, wenn diese sich nicht an die
Vorschriften halten. Es können Geldstrafen von bis zu 5 Prozent des
weltweiten Nettoumsatzes eines Unternehmens fällig werden. 

Wie sehen Wirtschaftsexperten das Vorhaben? 

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sieht das Vorhaben
trotz der Änderungen kritisch. Diese seien aus Sicht der Wirtschaft
zwar positiv zu bewerten aber «auch leicht abgespeckt bleibt die
EU-Lieferkettenrichtlinie wenig praxistauglich und wird viel
Bürokratie mit sich bringen», sagte DIHK-Präsident Peter Adrian.
Rechtsunsicherheit bestehe weiter. 

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW),
Marcel Fratzscher, hatte hingegen eindringlich für das Vorhaben
ausgesprochen. Deutschland würde ohne eine EU-Version des Gesetzes
einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden, sagte er.

Welche Rolle spielt Deutschland bei der Verhandlung des Gesetzes?

Deutschland hat sich bei der Abstimmung im Ausschuss der ständigen
Vertreter der EU-Mitgliedstaaten enthalten. Dies lag - wie des
Öfteren - an Uneinigkeit innerhalb der Bundesregierung. Wichtige
EU-Gesetze werden in Brüssel immer wieder ohne deutsche Zustimmung
verabschiedet. Wenn sich die Bundesregierung auf keine einheitliche
Position einigen kann, schwächt das die Verhandlungsposition
Deutschlands in Brüssel.

In diesem Fall hatte die FDP darauf gedrängt, dass Deutschland dem
Gesetz nicht zustimmt, aus Sorge vor Bürokratie und rechtlichen
Risiken für Unternehmen. Politiker von SPD und Grünen hingegen
befürworten das Vorhaben.

Wie geht es weiter? 

Die Richtlinie muss nun noch formell von den EU-Staaten auf
Minister-Ebene abgesegnet werden. Das gilt aber als Formsache, denn
Mitte März hatte im Ausschuss der ständigen Vertreter der
Mitgliedstaaten eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ihre
Zustimmung signalisiert. Sobald der Gesetzestext im Amtsblatt der EU
veröffentlicht wurde, haben die EU-Staaten gut zwei Jahre Zeit, die
neuen Regeln in nationales Recht umzusetzen.