Macron fordert Ruck in der EU - «Europa kann sterben» Von Michael Evers, dpa

25.04.2024 16:03

In einer Grundsatzrede zu Europa fordert Frankreichs Präsident einen
Ruck in der EU. Souveränität, Stärke und Sicherheit müssten dringen
d
erhöht werden. «Europa kann sterben», warnt er.

Paris (dpa) - Vor der Europawahl hat Frankreichs Präsident Emmanuel
Macron einen Ruck in Europa für mehr Unabhängigkeit, wirtschaftliche
Stärke und Sicherheit gefordert. Angesichts militärischer
Bedrohungen, der Konkurrenz durch die USA und China sowie einer
Infragestellung der Demokratie müsse Europa seine Souveränität
ausbauen, seine Werte verteidigen sowie seine Interessen und Märkte
schützen, forderte Macron in einer Grundsatzrede am Donnerstag an der
Pariser Sorbonne-Universität. 

Der Auftritt war Macrons Einstieg in den Europawahlkampf, bei dem es
für das Lager des Liberalen in Frankreich im Moment gar nicht gut
aussieht. 

«Wir müssen uns heute darüber im Klaren sein, dass unser Europa
sterblich ist, es kann sterben», sagte Macron. «Das hängt einzig und

allein von unseren Entscheidungen ab, aber diese Entscheidungen
müssen jetzt getroffen werden.» Im nächsten Jahrzehnt sei das Risiko

groß, dass Europa «geschwächt oder sogar deklassiert werde», sagte

Macron. «Wir stehen an einem Wendepunkt.» Die Zeit, in der Europa
seine Energie und Rohstoffe aus Russland bezogen habe, viele Produkte
aus China geliefert wurden und die USA die Sicherheit gewährleistet
hätten, sei vorbei.

Konkret forderte Macron eine europäische Verteidigungsstrategie mit
einer gemeinsamen Rüstungsindustrie und mit einer über Fonds der EU
finanzierten beschleunigten Aufrüstung, um der Bedrohung Russlands
gewachsen zu sein. Die Handelspolitik müsse angesichts massiver
Subventionen von China und den USA in die eigene Industrie überdacht
werden. Eine loyale Konkurrenz müsse sichergestellt werden und in
Schlüsseltechnologien müsse es in der EU eine Bevorzugung
europäischer Produkte geben. Auch in der Landwirtschaft und
Ernährungsindustrie müssten zum Schutz der Landwirte gleiche Normen
und Spielregeln gelten.

Angesicht der großen Herausforderungen bei Zukunftsthemen wie der
Bewältigung des Klimawandels oder Künstlicher Intelligenz pochte
Macron auf mehr Forschung und Investitionen. Um mehr Geld zu
mobilisieren, müsse die EU über ein größeres gemeinsames Budget
verfügen und die angestrebte Kapitalmarktunion beschleunigen, damit
mehr privates Kapital innerhalb der EU investiert werde. 

Macrons Rede folgt knapp sieben Jahre auf eine erste Europa-Rede an
der Sorbonne. Im September 2017 hatte der damals frisch ins Amt
gewählte Präsident eine ambitionierte Vision für ein souveränes
Europa entworfen, die für viel Aufsehen sorgte. Allerdings gab es von
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bis zum Ende ihrer Amtszeit keine
Antwort auf Macrons damaligen Vorstoß. Nachfolger Olaf Scholz (SPD)
reagierte vor knapp zwei Jahren mit einer europapolitischen
Grundsatzrede in Prag, in der er auf die Bedeutung der
deutsch-französischen Freundschaft für Europa aber nicht näher
einging. Beides kam in Frankreich nicht gut an. 

Nun reagierte Kanzler Scholz prompt, er unterstütze die von Macron
vorgeschlagenen Maßnahmen für ein wirtschaftlich starkes, sicheres
Europa. Gemeinsames Ziel von Frankreich und Deutschland sei es, «dass
Europa stark bleibt», so Scholz am Donnerstag auf der Plattform X
(vormals Twitter). «Deine Rede enthält gute Impulse, wie uns das
gelingen kann», fügte er hinzu. «Gemeinsam bringen wir die EU voran:

politisch und wirtschaftlich», sagte Scholz. Macron wiederum hob in
seiner eindreiviertel stündigen Rede mehrfach die
deutsch-französische Kooperation lobend hervor.

Mit seinem zweiten in Frankreich seit Tagen groß angekündigten
Sorbonne-Auftritt versuchte Macron auch im Anlauf zur Europawahl,
seinem Lager den Rücken zu stärken. Nach Umfragen liegen derzeit die
Rechtspopulisten von Marine Le Pen, die einen europakritischen und
auf Frankreich zentrierten Kurs fahren, deutlich vorn. Nach der
jüngsten Opinionway-Umfrage kommt das Präsidentenlager auf 19 Prozent
hinter dem Rassemblement National von Le Pen mit 29 Prozent. Laut
Umfrage sind die Sozialisten derzeit mit 12 Prozent drittstärkste
Kraft.