Spionage-Affäre: AfD droht Wahlkrampf Von Jörg Ratzsch, dpa

25.04.2024 16:32

Die AfD steht seit Wochen im Kreuzfeuer. Mutmaßliche Verbindungen zu
prorussischen Netzwerken, Verdacht auf China-Spionage - ein GAU für
die Partei vor der Europa-Wahl.

Berlin (dpa) - Plakate, Wahlwerbung, Bratwurststände und möglichst
feurige Bühnen-Auftritte - der Europawahlkampf steht kurz bevor, die
Parteien laufen sich warm. Bei der AfD steckt der Karren allerdings
fest, bevor er richtig losrollen kann: Das eigentliche Zugpferd der
Partei für den Wahlkampf, Maximlian Krah, soll erst einmal seinen
Kopf unten halten, weil einer seiner Mitarbeiter wegen mutmaßlicher
China-Spionage in Untersuchungshaft sitzt. Bei Krah selbst prüft die
Staatsanwaltschaft, ob sie Ermittlungen aufnimmt wegen möglicher
Russland- und China-Verbindungen.

Ganz aus dem Rennen genommen hat die AfD-Spitze ihn nicht, aber ganz
vorne mitspielen soll er auch nicht. Keine Plakate, keine Videos und
nur eingeschränkte Showtime auf der Wahlkampfbühne. Wie soll das
eigentlich funktionieren?

Bis in hohe Parteikreise zuckten am Donnerstag Vertreter mit den
Schultern. Klar ist, dass sich die beiden Parteichefs Alice Weidel
und Tino Chrupalla am Samstag beim Wahlkampfauftakt der AfD in
Donaueschingen nicht Seite an Seite mit Krah blicken lassen werden.
Der Sachse ist entgegen der ursprünglichen Planung nicht dabei. «Um
den Wahlkampf sowie das Ansehen der Partei nicht zu belasten», wie
Weidel und Chrupalla mitgeteilt hatten. Was danach kommt, ist offen.

Krah darf Heimspiel in Dresden wohl spielen

Der Terminkalender werde gerade angepasst, teilte Krah der dpa am
Donnerstag mit. «Dresden, 1. Mai. Das steht», fügte er hinzu.
Zumindest sein Heimspiel wird er also voraussichtlich spielen können.
Das bestätigte auch Chrupalla, der nach eigenen Angaben am 1. Mai
ebenfalls in Dresden sein wird - «zeitversetzt», wie er hinzufügte.
Ein bisschen Distanz also, aber nicht ganz. Zu weiteren möglichen
Krah-Terminen gab es zunächst keine Informationen. 

Vieles ist im Fluss. Die Aufregung wegen der Spionage-Vorwürfe in der
AfD ist groß. In Chatgruppen an der Basis gebe es Forderungen, sich
hinter dem Spitzenkandidaten zu versammeln und sich nicht von ihm zu
distanzieren, war aus Parteikreisen zu hören - die berühmte
Wagenburgmentalität. Krah selbst sieht sich zu Unrecht im negativen
Scheinwerferlicht. Bei X (früher Twitter) schrieb er, die
Staatsanwaltschaft führe nun «bei der Presselage erwartbar und
routinemäßig» Vorermittlungen, diese dienten dazu zu prüfen, ob es

überhaupt einen Anfangsverdacht gibt. «Wir befinden uns also nach wie
vor im Bereich der Vermutungen und Unterstellungen.»

Offene Kritik an Parteichefs

Kritische Parteimitglieder wie die AfD-Europaabgeordnete Sylvia
Limmer griffen dagegen die AfD-Chefs Weidel und Chrupalla offen an:
«Man duckt sich weg und übernimmt nicht die politische
Verantwortung», sagte sie am Donnerstag im Deutschlandfunk. Krahs
Positionen seien bekannt, er habe sich immer pro China geäußert und
sei immer massiv prorussisch unterwegs gewesen. «Das ist wie bei
Hempels, was sie unter den Teppich kehren. Ich befürchte nur, es wird
keinen Teppich geben, der groß genug ist, um das alles darunter zu
kehren.» 

Nicolaus Fest, ebenfalls AfD-Abgeordneter im EU-Parlament, erwähnte
im RTL-«Nachtjournal» ein Video Krahs zum 70. Geburtstag der
kommunistischen Partei Chinas und warf ihm vor, in Abstimmungen im
Europaparlament immer prochinesisch gestimmt zu haben. «Warum macht
man sowas? Aus ideologischen Gründen sicherlich nicht. Aus Gründen
der Menschenfreundlichkeit auch nicht - dann bleibt nicht mehr so
wahnsinnig viel übrig.» Weidel und Chrupalla hätten sich über
Warnungen hinweggesetzt und seien mehrfach darauf hingewiesen worden,
«dass Herr Krah, ich sag's mal so, ein Blindgänger ist, der jederzeit
hochgehen kann». 

Warum halten Weidel und Chrupalla an Krah fest?

Hinter vorgehaltener Hand wird auch in der AfD darüber spekuliert,
warum sich Weidel und Chrupalla bei Krahs Wahl im vergangenen Sommer
für diesen eingesetzt haben und warum sie nun weiter an ihm
festhalten. Hat Krah möglicherweise belastendes Wissen? In einer
Bundestagsdebatte am Donnerstag sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin
von Notz: «Der Fisch stinkt vom Kopf, und zwar vom
Bundesvorstandskopf der AfD.»

Spitzenkandidatur kein formaler Posten

Zwar ist es rechtlich nicht möglich, die Kandidatenliste für die
Europawahl jetzt noch zu verändern. Allerdings wäre es sehr wohl
möglich, Krah als Spitzenkandidat zu entfernen, sagte der
Politikwissenschaftler Florian Grotz dem Portal «The Pioneer». Die
Bezeichnung Spitzenkandidat sei kein wahlrechtlich definierter
Begriff. «Theoretisch könnte die Partei ihren Wahlkampf auch auf eine
Person zentrieren, die auf Listenplatz fünf steht.» 

Ein formaler Posten ist eine Spitzenkandidatur tatsächlich nicht.
Parteien wählen Listen mit Kandidaten, mit denen sie zu einer Wahl
antreten. Je weiter hinten auf der Liste jemand steht, desto
schlechter werden - abhängig vom Wahlergebnis - seine Chancen, ins
Parlament einzuziehen. Wer auf Listenplatz eins steht, ist also
sicher drin.

Sachsen-AfD will Plakate mit Krah 

Die Sachsen-AfD stemmt sich dagegen, dass der Dresdner Krah nun erst
einmal versteckt werden soll. «The Pioneer» zitierte aus hochrangigen
sächsischen Parteikreisen: «Wir werden den Spitzenkandidaten nicht in
einen Giftschrank wegsperren. Selbstverständlich werden wir mit Max
Wahlkampf machen und ihn auch plakatieren». Der Deutschen
Presse-Agentur wurde diese Position bestätigt. In westdeutschen
Landesverbänden dürfte die Stimmungslage anders sein.

Experten über Auswirkungen der Affäre uneins

Der Politikwissenschaftler Grotz hält den China-Skandal für die
«vielleicht kritischste Phase für die AfD seit 2020, als die Partei
anfangs nicht wusste, wie sie mit Corona umgehen soll». 
Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner,
erwartet eine sinkende Zustimmung für die Partei. «Ich rechne bei der
Europawahl mit keinem Durchmarsch der AfD, das wird eher ein mäßiges
Ergebnis», sagte er dem «Tagesspiegel» (Freitag). Bei der Europawahl

2019 hatte sie 11 Prozent erzielt, in den Umfragen lag sie zuletzt
zwischen 15 und 19 Prozent. 

Der Darmstädter Politikwissenschaftler Christian Stecker erwartet
dagegen nicht, dass die AfD bei der Europawahl wegen der China-Affäre
relevanten Schaden erleidet. Die AfD biete eine große
Projektionsfläche - unter anderem für Bürger, die mit der
Ampel-Koalition sehr unzufrieden sind, sagte er der dpa. Außerdem
dürften in den Wertemaßstäben der Kernwählerschaft der AfD die
Vorwürfe weniger schwer wiegen als bei den Anhängern anderer
Parteien.